Rechtsanspruch auf Sprachenprüfungen für Zugewanderte? Überfällig!
Dita Vogel (zweite von links) im Gespräch beim TraMiS-Schulworkshop Anfang März 2020.
Ein Rechtsanspruch auf Sprachenprüfungen für alle Zugewanderten sei überfällig und auch kurzfristig realisierbar – das war die einhellige Reaktion in einem TraMiS-Online-Forum, in dem Mitglieder von fünf TraMiS-Kooperationsschulen in kleiner Runde online diskutiert haben. Unter der Überschrift „Diskriminierung Mehrsprachiger durch Fremdsprachenanforderungen – ein Reformvorschlag“ ging es darum, ob Schüler*innen einen Rechtsanspruch auf Prüfung in jeder Sprache haben sollten, und ob Schulen durch einen binnendifferenzierten Unterricht darauf vorbereiten sollen. Ein solcher digital gestützter Mehrsprachenunterricht würde dann den Unterricht in einer „zweiten Fremdsprache“ ersetzen. Dabei soll eine vor Ort anwesende Lehrkraft das Selbstlernen von Schüler*innen in unterschiedlichen Sprachen begleiten und anleiten. Was und wie gelernt wird, soll mit online zugeschalteten bilingualen Fachkräften an anderen Orten abgesprochen werden.
ERPROBUNG IN EINEM MODELLPROJEKT NOTWENDIG
Zum vorbereitenden Mehrsprachenunterricht gab es von Teilnehmenden des Online-Forums kritische Anmerkungen: Um überhaupt realisierbar zu sein, müsse sich ein solcher Unterricht zunächst auf mehrsprachig Aufgewachsene oder Zugewanderte konzentrieren. Die Möglichkeit auch für monolingual aufgewachsene Schüler*innen diverse Sprachkenntnisse auszubauen, sei ein weiterer Entwicklungsschritt, der zwar wünschenswert sei, jedoch zusätzlicher Überlegungen bedürfe. Die Qualitätssicherung in Kooperation mit Externen müsse erprobt werden. Außerdem seien Anpassungen in den Rechtsvorschriften nötig, die eine Fortführungsmöglichkeit für in der Mittelstufe belegte Sprachen in der Oberstufe vorsehen. Für mehrere Teilnehmende ist ein solcher Unterricht als langfristige Perspektive denkbar, wenn es gelingt, in einem Modellprojekt praktisch zu zeigen, wie Hürden überwunden und Erfolge erzielt werden können.
INSTITUTIONELLES DENKEN ÜBERWINDEN
An Schulen, in denen es schon individuelle Lernzeiten oder Lernbüros gibt, könnte eine Vorbereitung auf die Prüfung in diesen Rahmen integriert werden. Außerdem – so eine Schulleiterin – „denken wir viel zu institutionell“. Auch jetzt sorgen viele Eltern dafür, dass ihre Kinder die zuhause gesprochenen Sprachen auch schriftlich gut lernen können – entweder in der Familie oder im Sprachunterricht am Wochenende. Ein Rechtsanspruch auf Sprachenprüfung könnte dazu führen, dass die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Stadt gesucht wird. Sie geben an vielen Orten an Wochenenden Unterricht, in dem die zweite Generation die Elternsprachen lernen kann. Im kanadischen Winnipeg, wo Yasemin Karakaşoğlu eine Schule besuchte, kann der Sprachunterricht am Wochenende als Wahlfach für das Zeugnis anerkannt werden, wenn die Schüler*innen ihn regelmäßig besuchen und bei Abschlusstests erfolgreich sind.
„HERKUNFTSSPRACHENPRÜFUNGEN“ SIND BISHER DIE AUSNAHME
Außerdem seien die Zulassungsmöglichkeiten zu eng. Eine Prüfung sollte nicht nur als Ausnahme- oder Härtefall vorgesehen werden, sondern als Regelfall zulässig sein, wenn Schüler*innen außer Deutsch und Englisch noch mindestens eine weitere Sprache sprechen.
ENTLASTUNG VON DEUTSCHLERNENDEN
In der Diskussion wurden die besonderen sprachlichen Herausforderungen betont, mit denen neu zugewanderte Kinder vor allem in der Mittelstufe konfrontiert sind, wenn sie hier die Grundlagen für schulische Bildung bis zum Abitur legen wollen. Vor allem in Gymnasien müssten sie häufig zwei neue Fremdsprachen gleichzeitig lernen, obwohl sie noch am Ausbau ihrer Deutschkenntnisse arbeiten, denn es dauert in der Regel 5 bis 7 Jahre, bis eine zweite Sprache auf anspruchsvollem Niveau beherrscht wird. Deshalb dürfe eine Sprachenprüfung nicht nur als einmalige schriftliche Prüfung nach der 10. Klasse angeboten werden. Sie müsse früher angeboten werden und wiederholbar sein. Gute Lösungen gibt es bereits an Schulen, an denen Erstsprachen der Schüler*innen auch als Fremdsprachen angeboten werden – etwa Französisch und Russisch. Wenn Lehrkräfte binnendifferenziert unterrichten, ergeben sich dadurch Möglichkeiten zu aktivem Sprachenlernen im mündlichen Austausch, die es in einer Klasse mit ausschließlich Sprachanfänger*innen nicht gäbe.
Bringt die Vorschläge in die bildungspolitische Diskussion ein! Diese Botschaft nehmen wir vom TraMiS-Online-Forum mit – und viele Hinweise, was im Detail in der Praxis zu beachten ist.
Ein Beitrag von:
Dita Vogel
Senior Researcher, Organisatorische Leitung des Projekts TraMiS