Horizonterweiterung – das Ratsgymnasium in Minden
Wer an dieser Schule ins Ausland gehen wolle, könne das auch, zeigt sich eine Schülerin des Ratsgymnasiums in Minden überzeugt, und andere aus ihrer Klasse nicken. Das Gymnasium in Ostwestfalen, das im Jahr 1530 gegründet wurde und heute vierzügig zum Abitur führt, ist eine von 12 Kooperations-Schulen des Projekts TraMiS. Bei einem Schulbesuch konnten wir, Dita Vogel und Nabila Badirou, im Mai 2019 mit Eltern, Schüler*innen und an der Schule Beschäftigten über ihre eigenen Erfahrungen und über Fallbeispiele transnationaler Mobilität sprechen. In diesem Blog zeigen wir auf, wie die Schule Möglichkeiten zur Horizonterweiterung schafft. Wir überlegen, welche Aspekte für andere Schulen anregend sein könnten.
Auslandsaufenthalt: Will ich das?
Für Schüler*innen stellt sich in Bezug auf längere Auslandsaufenthalte erst einmal die Frage: Will ich das überhaupt? Will ich meinen Freundeskreis, meine Klasse und meine Familie für eine längere Zeit verlassen? Verpasse ich etwas in der Schule, was ich nicht mehr aufholen kann, sodass ich eine Klasse tiefer wieder einsteigen muss? Schüler*innen einer 9. Klasse und eines Kurses der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe machten in Diskussionen mit uns sehr deutlich, dass sie zwar den Vorteil einer Horizonterweiterung durch einen längeren Aufenthalt im Ausland sehen, dass aber auch eine Entscheidung dagegen besser zur jugendlichen Lebensphase passen kann.
Infoveranstaltungen in der Schule
Am Ratsgymnasium Minden haben Schüler*innen gute Möglichkeiten, eine informierte Entscheidung zu treffen. Es gibt eine feste Ansprechpartnerin für Auslandsaufenthalte, die zwei Mal im Jahr Informationsveranstaltungen durchführt. Im Herbst halten die Zurückgekehrten aus dem letzten Jahr bebilderte Vorträge in der Sprache des Gastlandes. Sie schildern Erfahrungen, demonstrieren Lernfortschritte und stehen für Fragen zur Verfügung. Im Frühjahr geht es eher um praktische Aspekte der Organisation und Finanzierung. Die festen Kooperationspartner der Schulen und ihre Austauschprogramme werden vorgestellt, ebenso wie die Angebote unterschiedlicher Organisationen, die Auslandsaufenthalte organisieren oder bei denen Stipendien beantragt werden können. So ist z.B. ein Auslandsaufenthalt von 3 Monaten zu Beginn der 10. Klasse bei einer Partnerschule in Brasilien möglich, aber auch ein ganzjähriger Aufenthalt in den USA. Von den knapp 100 Schüler*innen eines Jahrgangs besuchen in der Regel 7 bis 14 für längere Zeit ausländische Schulen, um ihren Horizont zu erweitern und ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Die Schulleitung hofft, dass sich mit der im nächsten Jahr anstehenden Umstellung des Gymnasiums von G8 zurück auf G9 zusätzliche Freiräume für Auslandsaufenthalte oder praktische Erfahrungen schaffen lassen.
Auslandsverbindungen als Teil des familiären Alltags
Für einen Teil der Schüler*innen gehören Verbindungen in andere Länder als Deutschland zum familiären Alltag. Dieser Teil ist zwar im Vergleich zu manchen anderen Kooperationsschulen des TraMiS-Projekts eher klein, aber nicht unerheblich. „Kinder mit Zuwanderungsgeschichte“ nennt die nordrheinwestfälische Statistik diejenigen, die ein im Ausland geborenes Elternteil haben. Dies trifft auf etwa ein Drittel der Schüler*innen des Ratsgymnasiums zu. Immerhin 8 Prozent der Schüler*innen sind selbst im Ausland geboren. Auch wenn aus familiären Gründen ein längerer Auslandsaufenthalt nötig wird, bemüht sich die Schule, eine Beurlaubung zu ermöglichen und die Wiedereingliederung in den Schulalltag möglichst gut zu gestalten – so Lehrkräfte und Stufenleitungen in einer Diskussion um Fallbeispiele.
Kulturelle Horizonterweiterung
Horizonterweiterung wird in der Schule aber nicht nur durch die positive Begleitung von Auslandsbeziehungen und Auslandsaufenthalten großgeschrieben. Ein ausgefeiltes Programm an Wahlmöglichkeiten im kulturellen Bereich, das uns in einem „Schullaufbahnspiel“ erläutert wurde, ermöglicht auch eine Schwerpunktsetzung im musisch-künstlerischen, kreativen und sportlichen Bereich. So können z.B. Kinder, die noch kein Instrument spielen, ab der 5. Klasse ein Streichinstrument lernen. Wir konnten während unseres Aufenthalts im Bereich der Neigungsfachschiene in eine Mini-Bigband, eine Tanzgruppe, einen Trommelkurs, und in zwei Streicherkurse hineinschnuppern. Musisch-kulturelles Lernen kann auch neue Horizonte eröffnen – vor allem da das Ratsgymnasium in Minden und Umgebung stark vernetzt ist, sodass die Schwerpunkte auch mit Exkursionen und Kooperationen mit außerschulischen Partnern verbunden sind.
Neben diesen Aspekten hat uns auch positiv beeindruckt, dass transnationale Beziehungen in erster Linie als Chance und nicht als Risiko verstanden werden. So wie uns Schulleitung und Lehrkräfte berichteten, ist die Grundfrage immer: Wie kann es ermöglicht werden, dass diese Schülerin oder dieser Schüler eine Chance zur Horizonterweiterung nutzen kann?
Ein Beitrag von:
Dita Vogel
Senior Researcher, Organisatorische Leitung des Projekts TraMiS
Nabila Badirou
Studentische Hilfskraft am Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung