Europäische Schulen – ein transnationales System
„Für uns war die Europäische Schule genau das, was wir brauchten“, erzählt uns eine italienische Mutter. Ihre beiden Kinder erhalten multilingualen Unterricht an der Europäischen Schule in Karlsruhe (ESK), einer von 12 Kooperations-Schulen im Projekt TraMiS, die im Projektverlauf besucht werden. Gemeinsam konnten wir, Dita Vogel und Patience Amankwah, im Mai 2019 mit Eltern, Schüler*innen und an der Schule Beschäftigten über ihre eigenen Erfahrungen und über Fallbeispiele transnationaler Mobilität sprechen. In diesem Blog fragen wir uns, von welchen Erfahrungen der Schule – nach unserem Eindruck – auch ganz andere Schulen profitieren könnten.
Für die Italienerin, die wir eingangs zitiert haben, werden die Vorzüge der Europäischen Schule gerade jetzt besonders deutlich, denn die Rückkehr nach Italien ist geplant. Nachdem ihr Mann acht Jahre in Deutschland geforscht hat, wird er in Zukunft an einem europäischen Institut in Italien weiterarbeiten. Auch dort werden die Kinder des Paares eine Europäische Schule besuchen, die nach dem gleichen Lehrplan lehrt wie die Schule in Karlsruhe. Eine Veränderung steht allerdings an: In Deutschland fand der Unterricht in den meisten Fächern auf Deutsch statt und nach der Grundschule auch in einigen Fächern auf Englisch. In Italien wird die Hauptunterrichtssprache Italienisch sein, aber die Kinder werden in einigen Fächern weiter in deutscher Sprache unterrichtet und Englisch als dritte Sprache weiterführen. Da die Kinder auch an der ESK mehrere Stunden in der Woche Unterricht in ihrer Familiensprache Italienisch hatten, sollte der Wechsel in eine hauptsächlich italienischsprachige Schule für sie leicht fallen. Kinder von EU-Beschäftigten haben an Europäischen Schulen einen Anspruch auf Förderung ihrer Herkunftssprache – notfalls auch im Einzelunterricht oder Fernunterricht, wenn reguläre Klassen nicht zustande kommen.
Allerdings sind Schulwechsel von einer Europäischen Schule zur anderen eher die Ausnahme als die Regel, weil das System europaweit wenige Schulen umfasst. 13 Schulen werden von der EU insbesondere für Beschäftigte europäischer Organisationen unterstützt. Seit 2005 sind insgesamt 14 weitere Schulen akkreditiert, die nach demselben multilingualen und multikulturellen Modell unterrichten, aber vollständig im Rahmen nationaler Systeme finanziert werden. 5 weitere Schulen befinden sich im Schuljahr 2018/19 im Prozess der Akkreditierung.
Zahl der Europäischen Schulen nimmt zu
Das Wachstum des Systems zeigt, dass das Modell nicht nur für Beschäftigte europäischer Organisationen attraktiv ist, für die es Ende der 1950er-Jahre geschaffen wurde. Auch für Familien mit Kindern, die aus dem Ausland nach Deutschland wechseln, ist die Schule eine Option. Allerdings kann diese Option bei den ursprünglichen Europäischen Schulen nur mit hohem Einkommen realisiert werden, denn während die Schule für Beschäftigte europäischer Organisationen kostenfrei ist, müssen andere Eltern Schulgeld zahlen.
Englisch plus Deutsch für ein gutes Abitur
Warum die Schule trotzdem das Modell der Wahl sein kann, erzählte uns eine Inderin, deren 15jähriger Sohn seit Schuljahresbeginn die Schule besucht. Sie ist für eine Stelle in der Automobilindustrie nach Deutschland gekommen und hat das Ziel, mit ihrer Familie auf Dauer zu bleiben. Für ihren Sohn findet sie wichtig, dass er ein gutes Abitur machen und auf hohem Niveau Deutsch lernen kann, damit er später in Deutschland studieren kann. Bei der ESK sind die Chancen gut, dass er beide Ziele erreicht. Er besucht den Unterricht der meisten Fächer wie in Indien in englischer Sprache, denn die Schule hat außer der deutschen auch eine englische und eine französische Sprachabteilung. Deutsch ist seine zweite Sprache, in der er mit anderen Jugendlichen seines Alters im Sprach‑, Geschichts- und Geographieunterricht gemeinsam lernt. Das ist schwierig, denn er ist Anfänger, und die anderen Kursteilnehmenden lernen schon seit einigen Jahren Deutsch. Deshalb erhält er individuellen Zusatzunterricht, um möglichst bald mit den anderen in seinen Kursen mithalten zu können.
„Die Anfangszeit war hart für die Kinder, aber jetzt geht es!“ sagt auch eine amerikanische Mutter, deren drei Kinder seit Schuljahresbeginn die Schule besuchen. Die Familie ist schon mehrfach im Ausland gewesen. Im Vergleich zur rein englischsprachigen International Schools findet sie an der European School gut, dass auch konsequent Deutsch gelernt wird. Dadurch können sich die Kinder auch nach der Schule in lokalen Sportvereinen engagieren und erhalten zusätzliche Optionen für die spätere Wahl des Studienlandes. Das Abitur an einer Europäischen Schule ist in jedem Land der Europäischen Union anerkannt.
Komplexes Multi-linguales Kurssystem
Das komplexe Kurssystem mit den drei Hauptsprachen Deutsch, Englisch und Französisch, die miteinander und mit weiteren Sprachen kombiniert werden können, ist aber auch aufwändig. Auch der Zusatzunterricht, mit dem bei Bedarf Schüler*innen an den Stand der Klasse herangeführt werden, muss bezahlt werden. Handelt es sich bei der Europäischen Schule nur um ein Modell für Wohlhabende oder durch EU-Beschäftigung Begünstigte, von deren Erfahrungen andere Schulen mit weniger Geld nicht profitieren können? Diese Frage können wir nicht abschließend beantworten. Einige Aspekte stimmen nachdenklich.
So scheinen an dieser Schule Aufgaben, die an anderen Schulen von Lehrkräften geleistet werden müssen, von Verwaltungspersonal und Erziehungsberater*innen übernommen zu werden, so dass sich die Lehrer*innen auf ihre unterrichtlichen Aufgaben konzentrieren können. Gerade in Zeiten von Lehrkräftemangel kann überlegt werden, welche Aufgaben auch an staatlichen Schulen sinnvoll auf andere Berufsgruppen verlagert werden könnten. So übernehmen z.B. Erziehungsberater*innen an der ESK viele Kommunikations‑, Beratungs- und Verwaltungsaufgaben.
Der bilinguale Unterricht ermöglicht es vielen Neuaufgenommenen, zumindest einen Teil des Unterrichts in einer vertrauten Sprache zu absolvieren. Unterricht in Englisch hilft z.B. nicht nur denjenigen, die aus einem englischsprachigen Land kommen, sondern auch denen, die Englisch zumindest schon als Fremdsprache gelernt haben. Entsprechend könnte überlegt werden, ob nicht auch an anderen Schulen mehr Unterricht in anderen Sprachen als Deutsch gegeben werden könnte, z.B. Mathematik-Unterricht in Arabisch oder Englisch, damit die Kinder in Mathematik den Anschluss nicht verlieren, während sie Deutsch lernen.
Konsequente Herkunftssprachenförderung
Die Förderung der Herkunftssprache stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder, unterstützt auch ihren Spracherwerb in anderen Sprachen und hilft ihnen beim (Wieder-)Einstieg, falls sie in das Herkunftsland zurückkehren müssen, weil die Eltern das beschließen. Was ihnen nützt, würde auch anderen Kindern helfen, die auf Wunsch ihrer Eltern oder auf Druck des Staates Deutschland verlassen müssen. Wenn jeder prinzipiell ein Recht auf Förderung seiner Herkunftssprache hätte, müssten Schulträger darüber nachdenken, wie das realisiert werden kann: Für die einen kann es der reguläre Fachunterricht an ihrer Schule sein, für andere die regelmäßige Teilnahme an Online-Kursen und der Ferienkurs. Die Bundesländer legen ein unterschiedliches Gewicht auf die Förderung von Herkunftssprachen, wie eine aktuelle Studie des Mediendienstes Integration zeigt. aber überall wäre mit Kreativität und Flexibilität mehr Herkunftssprachenförderung und damit Stärkung von Jugendlichen mit transnationalen Bezügen möglich.
Ein Beitrag von:
Dita Vogel
Senior Researcher, Organisatorische Leitung des Projekts TraMiS
Patience Amankwah
Studentische Hilfskraft im Projekt TraMiS